Dialog im Dunkeln - eine kleine Geschichte des Unsichtbaren


Dialog im Dunkeln

Eine kleine Geschichte des Unsichtbaren


 

Es ist dunkel, stockdunkel. Vielleicht hat uns deshalb eine Mitarbeiterin am Eingang Stöcke in die Hand gedrückt: Weiße, lange Stöcke mit einem Griff dran. Mit ihnen kann man tasten.

Als sich die Tür schließt, stehen wir zu acht in einem Raum. Man ahnt die anderen, gelegentlich sagt noch jemand etwas. Das war es dann auch. Denn jetzt ist es einfach nur noch schwarz. Pechschwarz.

Könnte man schwarz steigern würde ich sagen: am schwärzesten.

 

Und ein bisschen lustig ist es auch: Am längsten Tag des Jahres finde ich mich in einem Angebot wieder, dass sich „Dialog im Dunkeln“ nennt.

Aus Neugierde habe ich mich für das einstündige Event gemeldet.

Doch schon jetzt kommen mir Zweifel: Was das wirklich eine gute Idee?

 

Noch versuche ich die Umrisse der anderen zu erkennen. Aber nichts.

Dann hören wir die Stimme unseres Guides durch die Dunkelheit. Bernd selbst ist von Geburt an blind. Und hier betreten wir gerade seine Welt. Denn er kennt sich aus mit Dunkelheit und in den Räumen dieses Hamburger Projekts.

 

Und schon stolpern wir los, der Stimme hinterher. Bzw. ich denke, wo sind die anderen? Bloß nicht den Anschluss verlieren! Ich taste mich vor mit dem Stock. Bestimmt bin ich der letzte.

Mehr als einmal läuft man plötzlich auf eine Person auf. Oder trifft sie mit dem Taststock.

„`schuldigung!“

„Ist schon okay!“

„Ich hab‘ Dich übersehen“, sage ich noch. Und merke, das ist nur genau einmal lustig in einer Welt, die komplett schwarz ist und auch nirgendwo einen kleinen Schimmer erkennen lässt. Einfach nix.

 

Meine Angst im Dunkeln

 

Wann ging das eigentlich los mit meiner Angst im Dunkeln? Genau genommen ist es keine Angst im Dunkeln, sondern die vor völliger Dunkelheit. Noch genauer wahrscheinlich sowas wie: In völliger Dunkelheit gibt es keine Kontrollmöglichkeit mehr. Man ist ausgeliefert an einen Raum und eine Situation, die beide undurchschaubar sind.

In der Regel gibt es im Alltag viele Lichtquellen auch abends und nachts, die dann noch eine Orientierung möglich machen.

Wenn die aber nicht da sind, dann löst das in mir etwas aus.

Und hier in diesem Dunkel-Experiment werde ich damit konfrontiert.

 

Bloß nicht alleine zurückbleiben!

Ich höre die anderen nicht mehr!

Was ist, wenn es irgendwo steil bergab geht?

Und ständig ziehe ich den Kopf ein, als wäre ich in einem Keller oder so.

 

Da höre ich wieder Bernds Stimme. „Rechts an mir vorbei!“ gibt er eine kurze Anweisung. Einzig meine Ohren ahnen, wo rechts an Bernd vorbei ist.

 

Das „Blickst-du-was?“ Experiment

 

Dann kommt ein kleines Experiment. Wir sollen ausprobieren, ob sich unsere Augen schon an die Dunkelheit gewöhnt haben. Also einfach mal mit der Hand vor den Augen hin und her winken.

„Sehe ich da nicht was?“ denke ich. Und schon wird etwas Erleichterung in mir spürbar. Mit der Zeit wird es hier also doch einfacher, man kann wenigstens Schatten sehen, denke ich.

Da kommt schon Bernds Erklärung aus dem off: Nein, man kann nichts sehen. Das Gehirn spielt uns das vor. Sodass wir wirklich glauben, wir könnten was sehen.

 

Später müssen wir noch über die Fußgängerampel. Die ist rot, so hören wir.

Als das gleichmäßige Klackern plötzlich ganz schnell wird, ist grün. Und wir wissen: Jetzt nix wie los!

Ah, die Bordsteinkante!

Eine aus der Gruppe ist tatsächlich gegen ein Auto gelaufen.

Und ich hoffe, dass es einfach endlich vorbei ist, das Dunkel-Experiment.

 

Smalltalk in der Dunkel-Bar

 

Fast geschafft!

Wir stehen mit Bernd in der Dunkel-Bar und können noch ein Getränk bei ihm bestellen. Ich taste nach zwei Münzen in der Tasche. Und strecke sie der Hand entgegen, dort wo ich sie vermute.

Alles krass! Nicht einmal das Getränk kann ich sehen. Schmeckt aber wie bestellt.

 

Bernd erzählt aus seinem Leben. Sobald er aus dem Haus geht, ist er hochkonzentriert. Die E-scooter machen ihm zu schaffen. Sie liegen einfach rum. Zweimal ist er schon über einen gestürzt.

Zuhause hat alles seine Ordnung. Haustür aufschließen, zwei Schritte bis zur Treppe, Wohnungstür öffnen, den Stock anlehnen.

Bernd sieht mit den Händen und sagt: Im Dunkeln sind die Sehenden blind und wir Blinden sind die Sehenden.

Smalltalk in der Dunkel-Bar. Ich versuche noch, mein Thema unterzubringen: Angst in völliger Dunkelheit.

Für Bernd kein Problem. Weil es immer so ist. Den Unterschied zwischen Licht und Finsternis kann er nicht kennen.

 

Der Psalm 139 kommt mir in den Sinn. Jemand spielt für sich im Gebet durch, wo Gott ist – oder genauer: Wo er nicht ist.

Und da kommt folgende Zeile: Wenn ich sagen würde, Finsternis statt Licht soll um mich sein, dann wäre auch Finsternis nicht finster bei Dir. Die Nacht leuchtete wie der Tag (vgl. Ps 139,11+12).

 

Ja, klar. Ich bin es gewohnt, mich durchs Sehen zu orientieren. Vielleicht gibt es aber kein Dunkelheits-Problem. Sondern eine „Bin-ich-hier-noch-bei-Dir-geborgen-Herausforderung?“

Wo ist Gott? wird dann mit der Gegenfrage beantwortet: Wo ist er nicht?

In allem, was diese wunderbare Welt, den Kosmos und eben auch mein kleines Leben betrifft: Gott bleibt sich in seiner Liebe und Fürsorge treu.

Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die er uns durch Jesus Christus gezeigt hat (Röm 8,39).

 

Die Dunkel-Bar schließt, letzte Runde! Wir tasten uns durch zwei schwere Vorhänge, ein erster Lichtschimmer, dann öffnet sich eine Tür. Der Tag hat uns wieder, denke ich.

Und ganz am Ende verstehe ich auch, was ich erst überlesen hatte: Der Untertitel dieser Veranstaltung lautet:

Eine Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren

Zufriedenheit breitet sich in mir aus. Zurück in der Sonne und um eine Wahrheit reicher. Endlich blicke ich es: Der Unsichtbare ist einfach immer da. Bei Tag und bei Nacht. Im Hellen und im Dunkeln.

 

Was für ein Segen.

Foto: Ulli Melzer
Foto: Ulli Melzer

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