Ganz bei Trost


Ganz bei Trost

Eine Frage der Wahrheit

Neulich sprachen wir bei mir zuhause darüber, welche bewegenden Momente wir mit Gott schon erlebt haben. Oder anders gesagt: Was hat Dich schon mal so richtig geflasht?

Da erinnert sich die Frau an meiner Seite an eine Geschichte zum Thema Vergebung, die sie immer wieder berührt. Vielleicht kennt ihr sie.

Nach etlichen Jahren im Knast kommt für den jungen Mann der Tag seiner Entlassung immer näher. Es war damals einiges schief gelaufen. Er hat sich damals für diese Sache geschämt, der Kontakt war danach eher spärlich, was besonders an ihm lag.

Der Tag der Entlassung kam näher und damit die Frage: Wo soll ich jetzt eigentlich hin? Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und schreibt an seine Eltern. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr mich nach diesen Jahren nicht mehr wiedersehen wollt. Das würde ich voll verstehen. Was soll ich machen? Ich nehme wie früher den 14-Uhr-Zug, der direkt hinter unserem Haus vorbei führt. Wenn ich wieder nach Hause kommen darf, dann soll mein Vater ein weißes Band in den Obstbaum direkt an der Bahnstrecke binden. Dann steige ich an der nächsten Haltestelle aus. Ansonsten fahre ich weiter und kann nicht mehr zurückkehren.

Nervös sitzt der junge Mann im Zugabteil. Wie oft ist er diese Strecke schon gefahren. Gleich kommt die kurze Unterführung, dann die leichte Kurve mit der Steigung. Dann das Haus seiner Eltern.

Als er sich endlich traut aus dem Fenster zu schauen, sieht er in der Ferne etwas Weißes. Beim Näherkommen ist es der alte Obstbaum und der ist über und über mit weißen Bändern behängt.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass Menschen sich schämen, für das, was sie getan haben. Manche Menschen verurteilen sich sogar für Dinge in der Vergangenheit, die sie damals vielleicht in bestem Wissen und Gewissen so getan haben. Scham ist ein sehr starkes Gefühl, häufig auch aus unserer Erziehung resultierend. In der Regel erlebt man sich dann so, wie man ist, als nicht okay. Wir betreten mit der Frage, „Bin ich okay?“  fast sogar einen Hochrisikobereich des Lebens. Wie oft wurden Person und Sache miteinander verknüpft – auch wenn es völlig daneben war?  Ohne die Erfahrung der Annahme wird manchmal die Selbstannahme schwierig. Dann sehe ich mich mit den Augen anderer, die vermeintlich unzufrieden mit mir sind.

Dabei kann es auch hilfreich sein, die eigenen Kategorien zu verändern: Richtig oder Falsch. Da geht es ums Urteilen. Wer aber kann das schon letztgültig tun? Die Einladung, nicht zu richten kommt nicht von ungefähr in der Ethik Jesu vor (vgl. Mt 7). Was dann bedeutet: Urteile über niemanden – der Clou: Auch nicht über Dich selbst. Das Gegensatzpaar könnte ja anders lauten: wahr oder falsch.

Wahrheit ist immer ein Beziehungsgeschehen, mehr als die Beurteilung von vermeintlichen Fakten. Und die Wahrheit hat etwas mit Trost zu tun. Wie tröstlich, einmal die ganze Wahrheit einfach aussprechen zu dürfen. Ja, das gehört auch zu mir. Und das auch. Und es gibt einen Raum, in dem es ganz unverkrampft angesehen werden kann.

Voll krass finde ich, dass Jesus Wahrheit und Trost in einem Satz zusammenfasst. Mein Vater wird Euch den Geist der Wahrheit als Tröster geben. (vgl. Joh 14,16)

Wahrheit und Trost hängen also zusammen. Welche Erleichterung, ich kann alles sagen und dann hat es keine Macht mehr über mich. Manch einer wurde schon sehr getröstet, indem er alles vor einem anderen Menschen aussprechen konnte und dann war es auch gut. Der andere hat ihm – wenn nötig – genauso in dem Geist der Wahrheit geantwortet und Vergebung zugesprochen. Is‘ doch okay jetzt. Lass es okay sein.

Da wir das mit Pfingsten verbinden – der Geist der Wahrheit ist der Heilige Geist – endet die Story nicht einfach mit Ostern sondern nimmt an Pfingsten erst richtig Fahrt auf. Sich nicht mehr verstecken müssen gibt richtig Schwung!

Interessant ist auch, dass ich jetzt schon mehrere Menschen kenne, die ihre Biographie geschrieben haben. Keine Promis, ganz normale Leute. Und Biographiearbeit ist ein Thema. Oft kann man damit vieles klären, verstehen, heil werden lassen und getrösteter durchs Leben gehen. Ich finde das mutig. Und was raus ist, dafür muss sich niemand mehr schämen.

Vielleicht gehört auch dazu, dass Johannes in seinem Evangelium vom Paraklet redet. Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit ist auf griechisch ein Wort, das auch Anwalt heißen könnte.

Kurz und gut: Der Heilige Geist verteidigt dich auch noch. Vor allem gegen mögliche Selbstverurteilungen. Insofern ist Himmelfahrt dringend nötig und dann kommt Pfingsten. Der Geist der Wahrheit als Trost und Anwalt. Welch‘ eine schöne Perspektive!

Baum mit Bändern Foto: Ulrich Melzer
Baum mit Bändern Foto: Ulrich Melzer

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