Der rote Teppich II - Wieso Jesus die unverschämteste Frage der Welt stellt.


Der rote Teppich

Aschermittwoch

Der rote Teppich II

 

Wieso Jesus die unverschämteste Frage der Welt stellt

 

Hier kommt die Geschichte von einem Blinden. Genauer gesagt: Wir sind uns vor langer Zeit begegnet und das war ziemlich krass. In diesen Tagen ist die Geschichte wieder da. Die Erinnerungen und so. Und ich möchte das an dieser Stelle einfach mal erzählen.

 

Ich war damals noch in der Ausbildung zum Pfarrer. Es ging um unterschiedliche Zugänge zu biblischen Texten. Ein Zugang ist z.B. Bibliodrama. Da gehst Du in eine Geschichte wie in 3D rein (vielleicht so ein bisschen wie AR). Das ist dann so richtig ganzheitlich. Und eröffnet andere Zugänge. Ich erzähle kurz die Story (vgl. Mk 10,46-52)

 

Vor den Toren der Stadt Jericho sitzt ein blinder Mann, der bettelt. Das war so, um in einer Zeit ohne Sozialversicherung zu überleben.

Er wird einen Taststock gehabt haben. Eine Schale für die Almosen. Und einen Mantel. Der Mantel war auch zugleich die Bettdecke für die Nacht.

 

Sobald Du die Augen schließt, hörst Du vielleicht, wie quirlig es am Stadttor dieser Großstadt zugeht. Stimmen, Geräusche, Gerüche…

Du kannst hören, wann es sich lohnt, die Hand auszustrecken. Oder, wann etwas Außergewöhnliches passiert.

 

Jetzt kommt eine große Menschenmenge aus der Stadt. Stimmen und Staub. Aus den Wortfetzen setzt sich innerlich ein Bild zusammen: Hier kommt jemand, der einen Namen hat. Und mit dem verbindet sich eine Erwartung.

Er wird Sohn Davids genannt. Das ist die Gestalt, auf die alle warten. Ein König wie der König David. Und noch mehr. Er bringt alles zurecht und ins Lot.

Stell Dir vor, für Dich wird es richtig gut! Du kannst es schon hören. Mit dem Sohn Davids verbindet sich alles, was ich je gehofft, gesehnt, gesucht habe.

Und Bartimäus spürt: Es geht die Chance meines Lebens vorbei. Also wortwörtlich.

Ein erster Ruf, ein Schrei: "Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!" (V.47)

Alles auf eine Karte gesetzt.

 

Dagegen

 

Sobald jemand etwas von ganzem Herzen ersehnt, meldet sich auch der Widerspruch. Außen oder auch innen.

Die Stimmen, die Dir sagen wollen: Reiß Dich mal zusammen! Mach nicht so einen Lärm! Oder: Störe Jesus nicht bei einer wichtigen Tätigkeit! Das kennen manche schon aus ihrer Kindheit. Mit einem Bedürfnis überhört zu werden. Mit dem zu stören, worunter ich leide.

 

Bis vor einigen Jahrzehnten war sogar noch manchmal zu hören, man müsse den Willen der Kinder brechen. Bevor sie den Eltern noch auf dem Kopf rumtanzen. Was für eine schreckliche Ideologie!

Manchmal zerbricht etwas kaum hörbar im Innern: Dass ich so sein darf, wie ich zutiefst bin. Und dazugehöre. Und lebendig bin. Und das Kind, das wir alle waren, bekommt Ablehnung statt Zuwendung. Welche Verlorenheit in einer Kinderseele.

Hier schreit ein Erwachsener. Und letztlich doch für sein ganzes Leben. Das Leben vom Straßenrand. Nur Zuhörer der Lebendigkeit und des Lachens der anderen.

 

Für jeden kommt zu einem anderen Zeitpunkt der Gedanke: Ich mache mich nicht mehr klein.

Bartimäus schreit lauter: „Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ (V.48). Die Bitte um Erbarmen für das eigene Herz, das eigene Leben. Lass mich Deine Barmherzigkeit spüren. So geht es nicht weiter. Es muss was geschehen!

 

Erzähle ich so ausführlich, weil: wir waren so richtig drin in der Geschichte.

Inzwischen bleibt dieser Zug stehen. Jesus hat was gehört. Und lässt Bartimäus holen.

„Sei getrost, steh auf! Er ruft dich!“ sagen die Leute.

 

Wir haben die Widerstände in der Szene dann so nachempfunden, dass man in einer Decke (wie der Mantel) gewickelt war. Und dann reagieren sollte.

Ich sitze also auf dem Boden, eingewickelt und festgehalten von drei Personen.

Und höre den Satz, dass Jesus mich ruft.

Eine solche Kraft und Energie, die ich gespürt habe! Man konnte mich nicht festhalten, die Decke zerreißt, ich komme auf meine Beine und gehe los.

Das war eine sehr tiefgehende Erfahrung für mich. Klar, fühlt sich gut an, stark zu sein. Es war viel mehr. Ich habe den Ruf gehört. Und das war in dem Augenblick wie eine Antwort auf alles. Auf die ganze Sehnsucht meines Lebens.

Sei getrost, steh auf! Er ruft dich!

 

Mein Fastenzeit-Projekt

 

Manch einer ist in diesen Tagen mit einem Fastenzeitprojekt unterwegs. In Freiheit verzichten, um Raum zu haben für Anderes, Neues. Das ist eine großartige Perspektive. Klar, Du kannst Dir `ne Liste machen und abhaken. Geschafft!

 

Oder ich höre ein Trostwort, einen Ruf, eine Einladung, ein Plötzlich-Gemeint-sein. Und dann erlebe ich, was mich hält, was ich hinter mir lassen kann.

So ein Mantel ist an sich eine gute Sache. Außer, er wird zum Hindernis für Deine Sehnsucht nach Aufbruch. „Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus.“ (V.51)

 

Ein freier Umgang mit der Fastenzeit lässt Dir Raum zu entdecken: Was ist es, was mich krallt? Welche Gedanken, Gefühle, Umstände waren mal okay und hatten ihren Sinn? Jetzt aber wird der Auf-Stand gewagt!

Im Ruf Jesu zeigt sich der Mantel als Zwangsjacke. Entweder: leise sein, Klappe halten.

 

Oder du wagst den Aufstand.

 

Die Veränderung des Bartimäus beginnt mit der Sehnsucht. Und dem Hinhören, dem Wagnis, laut zu sein. „Einfach mal zu weit gehen, um sich dort ein bisschen umzusehen.“ hab ich kürzlich gehört.

 

Für mich war der Ruf Jesu in dem Bibliodrama eine der stärksten Erfahrungen. Rausgerufen aus der Es-war-schon-immer-so und der Ich-blicke-es-nicht-Gewohnheit.

Schon der Ruf war die ganze Barmherzigkeit, der ganze Trost für mich.

 

Und wenn Du in allen Regelwerken, Vorschriften, Zuschreibungen und Gegebenheiten gar nichts mehr fühlst…. bleibt noch: Ich bitte Jesus um Barmherzigkeit.

 

Die unverschämteste Frage der Welt

 

Das, was dann folgt, war für mich lange unterirdisch. Jesus hat nicht wirklich einen blinden Bettler gefragt, was er für ihn tun soll.

Als ob das nicht klar wäre! Hallo? Augenlicht, bitte!

 

Ist aber nicht klar. Nicht immer gleich für andere wissen, was die unbedingt brauchen. Niemand kann wissen, was Du brauchst, um ohne Mantel zu leben.

Lass gerne hören, sagt Jesus: „Was willst Du, dass ich für Dich tun soll?“ Wie also mag bei Dir das Erbarmen ankommen? Kyrie eleison!

Dass Du deinen Namen hörst und Dein Anliegen nennen kannst?

 

Mit einem Mal steht alles still. Jesus stoppt die „große Menge“ (V.46) an Menschen. Alle bleiben stehen. Denn die Antwort braucht manchmal Zeit. Ja, was ist es eigentlich? Bei Dir?

 

Der rote Teppich wird jeweils individuell ausgerollt. Für Dich und mit allem, was Dich ausmacht.

Fastenzeit ist eine gute Zeit, um aufzubrechen. Was auch immer für Dich dran sein mag: „Sei getrost, steh auf! Er ruft dich!“

 

 

Ich wünsche Dir die ganze Barmherzigkeit. Auch mit Dir selbst. Und, gehört zu werden: „Was willst Du, was ich für Dich tun soll?“

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