Karfreitag - von Gründen und Abgründen


Karfreitag

von Gründen und Abgründen

 Karfreitag

Von Gründen und Abgründen

Morgens hab‘ ich etwas Kopfschmerzen. Wahrscheinlich von der Stille. An diesem Tag darf man weder Tanzen noch sonst wie Spaß haben. In der Öffentlichkeit. Musik im Radio ist gedämpft. Alles in Moll. Passend dazu würde man schwarz tragen und flüstern.

Wie in einer Friedhofskapelle. Sprich Trauerfeier.

Wie immer in extremen Situationen: Nur alles richtig machen! Das Hawaiihemd bleibt im Schrank und die knallroten Chucks auch. Gedämpfte Farben, möglichst schwarz, gesenkter Kopf, Blumen in der Hand, Taschentuch bereit.

Der Versuch, mit Ritualen etwas Extremes zu bewältigen ist okay. An Tagen wie diesen hilft mir das.

Der Abschied wird gestaltet. Und ich habe dazu eine Form.

 

Warum musste Jesus sterben?

Musste er?

Wollte er?

Wer ist schuld?

Fragen über Fragen.

Gründe werden gesucht;

und es zeigen sich Abgründe.

 

Gründe

Bei Gründen suche ich Erklärungen, um aus der Sache halbwegs rauszukommen. „Jesus ist auch irgendwie selbst schuld; er hat ja keinen Streit ausgelassen.“

Unter dem Kreuz gibt es Diskussionen:

„Die Leute, die vorbeikamen, lästerten über ihn. Sie schüttelten ihre Köpfe und sagten: ‚Ha! Du wolltest doch den Tempel abreißen und in nur drei Tagen wieder aufbauen. Rette dich selbst und steig vom Kreuz herab!‘“ (Mk 15,29)

Anders gesagt: Er hat es verdient. Das ist die logische Konsequenz. Sich als Gottes Sohn auszugeben, kommt nicht gut. Insbesondere bei den Mächtigen. Der Sohn ist der Erbe. Insofern haben die Würdenträger und Priester mit ihren ganzen Er-Klärungen plötzlich ganz schlechte Karten. Sie müssen um ihre Position bangen.

 

Abgründe

Schon wieder Friedhofskapelle. Jetzt aber wirklich. Die Dame wurde über Hundert. Was sagt man da? Es war eine Erlösung. Oder: Sie hatte wirklich ein langes Leben. Als ich die Todesnachricht erhielt, dachte ich zuerst: Ich wollte doch gerne noch mal mit ihr sprechen! Ja, sie hörte nicht mehr gut; es gab also einen Grund. Es lag nicht nur an mir.

 

Wer bleibt auf der Strecke? Sind es nicht die, die mit unseren ganzen Gründen und Begründungen in ihrer Situation fixiert werden? „Schade! Da sieh selbst zu! Selbst schuld!“

Aus der Fixierung wird die Kruzifixierung. Und der Unschuldige schleppt das Kreuz zur Hinrichtungsstätte. Welche Tragik! Jetzt kann man nichts mehr machen. Also muss es zu Ende gebracht werden.

 

Am Kreuz windet sich der geschundene Jesus, voller Schreien und Schmerzen. Und wir haben halt Feier-Tag.

Und Kopfschmerzen.

Es ist nicht zum Aushalten!

 

Abschied mit Ansage

Klar, wenn man ihm zugehört hat, entstand schon so eine Ahnung: Das geht nicht gut aus! Und doch blieb bei seinen engsten Angehörigen die leise Hoffnung: Der zieht das doch nicht wirklich durch!?

Am Kreuz offenbart sich die Konsequenz Gottes mit dieser Welt. Er bleibt in seiner Liebe treu; ausgebreitete Arme für Dich und alle Menschen. Niemand hat größere Liebe als die, sein Leben zu lassen für seine Freunde (Joh 15,13)

 

Der heilige Tausch

Jesus selbst lebt nach dem Prinzip der Stellvertretung. (vgl. Jes 53,4-5)

Der Menschensohn übernimmt die Welt der Gründe und Abgründe. Rausreden nicht mehr möglich. Und auch nicht mehr nötig! Mit anderen Worten heißt das:

 

Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. 2. Kor 5,21

Theologisch wird das als sacrum commercium bezeichnet, als heiliger Tausch.

Am Kreuz wird Jesus verabschiedet, wenn man es so nennen will. Und bei mir jeder Versuch, mich selbst zu rechtfertigen.

Ja, ich bin hinter meinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Einem Leben voller Leidenschaft, voller Liebe und Hoffnung. Und dann das. Ich bin bei mir selbst hängen geblieben. Habe von Gott und seiner Liebe zu klein gedacht.

Sünde ist verfehlte Freiheitsgeschichte.

 

Karfreitag. Man kommt an eine Grenze, wenn man das alles beschreiben soll.

Wie drückt sich die Liebe Gottes in dem Geschehen aus?

Jenseits von Gründen und Abgründen höre ich den Satz des römischen Hauptmanns, der beim Hinrichtungskommando dabei war. Im Tod Jesu bekennt er:

„Dieser ist wirklich Gottes Sohn gewesen!“ (Mk 15,39)

Das Bekenntnis wird zur angemessenen Haltung.

 

Karfreitag ließe sich alternativ gestalten. Das ganze Spiel mit Gründen und Abgründen hilft ja nicht. Angesichts des Opfers Jesu kann ich meine eigene Verletzungsgeschichte anders ansehen. Und ihm hinhalten.

Und die Opfer dieser Welt müssen von keiner Seite mehr erklärt werden.

Ihnen gilt Beistand, Würdigung und Hilfe. In jedem Land. 

 

 

Foto: Ulrich Melzer
Foto: Ulrich Melzer

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